Christina Schwalbe

Nachgedacht statt nachgemacht!

Transmission und Kommunikation

Posted on | April 16, 2009 | 12 Comments

Bisher war die inhaltliche Planung meiner Dissertation immer noch extrem weit gefasst – aus einer kulturwissenschaftliche Perspektive möchte ich den Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Medientechnologien und (institutionalisierten) Prozessen der Übermittlung von Wissen, kulturellen Bedeutungen, Ideen etc. untersuchen. Also medientheoretisch basierte Fragen nach Kommunikationsstrukturen, dem Konzept von Wissen, Darstellung und Darstellbarkeit von Wissen und nach sich historisch verändernden Strukturen und Bedeutungen von Bildungsinstitutionen.

So langsam beginnt sich nun ein Fokus herauszubilden, der sich am mediologischen Ansatz nach Régis Debray orientiert. Kommentare zu dieser kurzen Skizze meines Themas sind herzlich willkommen.

Die geplante Dissertation beschäftigt sich also im großen und ganzen mit dem Zusammenhang von Medientechnologien und Bildungssystemen. Betrachtungsraum sind Prozesse medialer Umbrüche und damit zusammenhängende kulturelle Veränderungen. Hier schlage ich einen Bogen vom Übergang der oralen Kultur der Stammesgesellschaft zur Schriftkultur der antiken Gesellschaft die sich dann weiterentwickelte zur Buchkultur der modernen Gesellschaft (McLuhan, Baecker). Hauptgegenstand der Untersuchung soll jedoch der aktuell zu beobachtende Übergang von der Buchkultur der modernen Gesellschaft zu einer noch zu benennenden digital-vernetzten Kultur der ‚Äûnächsten Gesellschaft« (Baecker) sein.

Im Zentrum steht die Frage, wie sich mit der Entwicklung der Medien und damit der kulturellen Rahmenbedingungen der Umgang mit Wissen und Information jeweils verändert hat bzw. sich aktuell verändert. Gegenstand der Untersuchung ist hierbei das Verhältnis der Weitergabe von Informationen im Raum (Kommunikation) und der Weitergabe von Informationen in der Zeit (Transmission im Sinne Debrays). Neben unterschiedlichen Transmissions- und Kommunikationsformen, haben sich auch je unterschiedliche Institutionen als Medien der Transmission und Kommunikation herausgebildet. Eine Funktion der Medien der Transmission ist die Archivierung, das heißt die langfristige Speicherung von Wissen sowie dessen kulturelle Kontextualisierung und Indexierung. Bildungsinstitutionen (Schule, Museum, Universität etc.) sind Medien der Transmission. Sie greifen dabei auf technische Transmissionsgeräte (Bücher, Bilder, Datenbanken etc.) sowie auf Archive zurück und binden das gespeicherte Wissen in jeweils aktuelle Kontexte ein.

Das Verhältnis von Kommunikation und Transmission wird zunehmend prekär. Es deutet sich an, dass sich ‚Äì im Unterschied zu bisherigen Medienumbrüchen ‚Äì in einer hochgradig konvergierenden digital-vernetzten Mediosphäre (im Sinne Debrays) weder die Prozesse von Transmission und Kommunikation noch deren Formen weiterhin so deutlich differenzieren lassen. Das Internet ist gleichzeitig Archiv (und damit Transmissionsmedium) und Kommunikationsmedium. Diese These soll im Dissertationsvorhaben untersucht werden.

Was bedeutet es für Bildungsinstitutionen, die traditionell Funktionen der Transmission übernehmen, wenn kommunikative Elemente die Prozesse der Transmission überlagern? Welche Prozesse der Transmission entwickeln sich außerhalb institutioneller Grenzen? Was müssen Ziele von Bildungsprozessen sein, um Transmissionsprozesse in einer flüchtigen Welt zu erhalten?

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Comments

12 Responses to “Transmission und Kommunikation”

  1. Lisa Rosa
    April 16th, 2009 @ 14:08

    Interessant! Versteh ich recht, Debray hält eine „Transmission“ – andernorts (z.B. kulturhistorische Psychologie) „Vermittlung“ genannt – OHNE Kommunikation für möglich? How goes?

  2. schwalbe
    April 16th, 2009 @ 15:22

    So trennscharf, wie es vielleicht in der Kürze oben erscheint, sind Kommunikation und Transmission nicht zu verstehen. Transmission ist eher die Übermittlung als die Vermittlung – der historische Horizont der Übermittlung hier zentral, es geht dabei darum, kulturelle Wissensinhalte auch über die Zeit hinweg weiter zu tragen um so Kontinuität herzustellen. Transmission bzw. Übermittlung bezieht sich auf ein kollektives Gedächtnis ist damit die Grundlage von Kultur.

    Kommunikation hat hier einen eher soziologischen Hintergrund, nicht so sehr einen historischen. Kommunikation besteht darin, Informationen im Raum zu transportieren und stellt damit Verbindungen zwischen Akteuren innerhalb einer räumlich-zeitlichen Sphäre her. Die Gesellschaft gründet sich auf diese Beziehungen und damit auf Kommunikation.

    Selbstverständlich sind Übermittlung und Kommunikation nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Wie Debray es ausdrückt: „Kommunizieren ist der Moment eines längeren Prozesses und das Fragment eines umfangreicheren Ganzen, das wir konventionsgemäß Übermittlung nennen werden.“ (Einführung in die Mediologie, 2000, S. 11).

    Doch verändert sich mit der Entwicklung der Medien auch das Verhältnis von Raum und Zeit und damit das Verhältnis von Kommunikation und Übermittlung.

  3. Lisa Rosa
    April 16th, 2009 @ 17:38

    Danke für die ausführlichen Erklärungen! Jetzt verstehe ich das besser. Klingt sehr interessant. Ich finde solche Theoriearbeit sehr wichtig und spannend. Bin Michael-Giesecke-Fan und kannte Debray nicht.
    Schon das Buch von Katja Manski, „Lernen im Medienumbruch“ gesehen? http://www.ich-sciences.de/index.php?id=46&no_cache=1&L=0&tx_ttnews%5Btt_news%5D=9&tx_ttnews%5BbackPid%5D=21
    Könnte Dich interessieren.

  4. Sebastian
    April 17th, 2009 @ 07:55

    Anschluss: Debrays Vokabular ist mißverständlich, oder? Ist also auch „Transmission“ eine Form der Kommunikation, nur eben vor dem Hintergrund der zeitlichen Sinndimension, während sich „Kommunikation“ (im Debray’schen Sinne) auf die Sozialdimension beschränkt, die den Sinnhorizont für die „Akteure“ konstituiert?

    Beides also Kommunikation?

  5. schwalbe
    April 20th, 2009 @ 09:57

    @Lisa Rosa: Danke für den Buchhinweis – schön, dass es auch einige praxisbezogene Ansätze gibt, die einen kulturwissenschaftliche Theorien als Basis nehmen. Werde ich mir noch mal näher anschauen.

    @Sebastian: In der Tat ist keine deutliche Trennung von Transmission und Kommunikation nach Debray möglich – was er aber auch gar nicht versucht. Es sind beides Prozesse, die ineinander greifen. Es geht vor allem um die Unterscheidung zwischen räumlicher und zeitlicher Dimension. Und natürlich muss man Informationen auch innerhalb einer räumlich-zeitlichen Sphäre transportieren (also kommunizieren), um sie auch generationenübergreifend weiter tragen zu können. In einer Schule z.B. wird *kommuniziert*, um den Schülern überlieferte kulturelle Inhalte zu *übermitteln*.

    Diese Fragen, die hier aufgeworfen werden, zeigen ganz deutlich, die Notwendigkeit für den nächsten Blogbeitrag: Genaue Begriffsklärung von Transmission und Kommunikation – und Gegenüberstellung zu anderen Kommunikationsbegriffen

  6. Sebastian
    April 20th, 2009 @ 19:42

    Dann macht der folgende Satz allerdings keinen Sinn mehr, oder?

    „Was bedeutet es für Bildungsinstitutionen, die traditionell Funktionen der Transmission übernehmen, wenn kommunikative Elemente die Prozesse der Transmission überlagern?“

    Wenn also in [den sozialen Interaktionssystemen] der Schule *kommuniziert* wird, gleichzeitig aber [in der Zeitdimension kultureller Inhalt] *transmissioniert* wird – wie ging das jemals ohne die Überlagerung der Transmission durch Kommunikation?

    Wieso wird das Verhältnis dann prekär? Ist Kommunikation nicht immer notwendige Bedingung für Transmission? Und Transmission vllt. eine hinreichende Bedingung, um auch von Kommunikation sprechen zu können?

  7. schwalbe
    April 24th, 2009 @ 15:44

    Danke für die Kommentare! So merke ich, wo ich mich anders ausdrücken muss um den Kern der Sache verständlich zu machen. Allerdings bleibe ich vorerst hier eine Antwort schuldig – das folgt in einem besser ausformulierten baldigen Blogbeitrag.

  8. Lisa Rosa
    April 24th, 2009 @ 16:23

    Ich möchte die Fragen von Sebastian dick unterstreichen! Vllt noch mal Brauchbarkeit des Ansatzes, „Transmission + Kommunikation“ von Debray prüfen und mit Leuten wie Giesecke, Sandbothe, Erdmann, Bolz et al. vergleichen?

  9. schwalbe
    April 24th, 2009 @ 17:32

    Ja, das sowieso. (Ich bin ja im übrigen bekennender Giesecke-Fan – vielleicht nicht so kategorisch wie Sebastian Luhmannianer ist, aber meine Interesse für das Thema hat seinen Ursprung bei Giesecke)

    Aber im Prinzip finde ich schon genau das, was Debray mit der Unterscheidung von „Transmission & Kommunikation“ ausdrückt gerade das Spannende an der Sache – nämlich das Verhältnis der räumlichen und zeitlichen Spannweite der Medien und der Prozesse der Informationsweitergabe und der Wissensübermittlung, die sich jeweils entwickeln.

    Ob hier tatsächlich Debrays Begrifflichkeiten auf Dauer eine solide Grundlage bilden wird sich noch zeigen ‚Äì gerade arbeite daran, Definitionen von Kommunikation, Übermittlung und Medium verschiedener Autoren zu vergleichen. Auch die Einordnung der Universität als Transmissionsmedium bedarf hier noch genauerer Betrachtung.

    Aber jedenfalls hat Debray mit der Benennung der mediologischen Methode einer medientheoretisch orientierten Kulturwissenschaft einen Namen gegeben ‚Äì und gerade dieser Blick ‚Äûdurch die Medien« auf kulturwissenschaftliche Themen ist meines Erachtens sehr spannend und wichtig.

    Ich freue mich auf jeden Fall auf weitere konstruktiv-kritische Kommentare und gerne auch weitere Literaturhinweise!

  10. Arne Richter
    April 29th, 2009 @ 15:30

    Toller Beitrag. Tolle Kommentare. Ich bin hier hängengeblieben und komme nicht mehr weg.

    Auch ich habe ein ungutes Bauchgefühl, wenn Du die heilige Dreieinigkeit des Kommunikationsbegriffs von Herrn L. ignorierst. Denn Herr L. ist Hegemon.

    Andererseits: Wenn die nächste Gesellschaft anders sein soll und man das an Kommunikation beobachten möchte, dann muss man genau an dieser Stelle, bei Kommunikation, eine neue Unterscheidung treffen, meinetwegen auch Vermittlung/Übermittlung.

    Ich sehe aber ein anderes Problem: Wenn es um den Übergang von Buchkultur zu Computerkultur geht, dann geht es doch eher um Vernetzung, wie Du ja selber schreibst. Und Vernetzung kriegst Du damit nicht in den Blick, oder?

  11. Simone Haug
    Mai 6th, 2009 @ 16:01

    Hallo Christina. Kennst Du das Buch von Anne Thillosen. Könnte sehr zu Deinem Thema passen: „Schreiben im Netz“ erschienen bei Waxmann. Könnte es Dir auch zukommen lassen!

  12. Christina Schwalbe
    Mai 6th, 2009 @ 16:54

    @Arne Richter: Danke für die Blumen und das Interesse…
    Ganz kurze Antwort – die im Prinzip ein Vertrösten auf einen noch zu schreibenden Beitrag ist: Luhmann soll nicht ignoriert werden – nur in diesem kurzen Umriss der Fragestellung fehlt eben die genaue begriffliche Einordnung.
    Zur Frage der Vernetzung: Legt man den mediologischen Ansatz zugrunde, so ist es im Prinzip eine Betrachtung der Schnittstellen zwischen technischen Medien, symbolischen Formen und sozialer Organisation (ganz verkürzt dargestellt). Durch die Brille medialer Entwicklungen wird ein Blick auf kulturelle Entwicklungen geworfen. Dabei ist ein sehr umfassender Medienbegriff die Grundlage, der sowohl die technische Basis als auch Codierungs- und Symbolisierungsmechansimen und ein zugehöriges Dispositiv mit einbezieht. (Werde ich bei Gelegenheit auch mal hier im Blog verhandeln…) Damit ist im Prinzip der Aspekt der Vernetzung und damit auch der zunehmenden räumlichen Reichweite auf dieser Ebene Teil der Betrachtungen. Davon ausgehend sollen dann Kommunikations- und Transmissionsprozesse unter die Lupe genommen werden.

    @Simone: Danke für den Hinweis, da wurde ich schon mal drauf hingewiesen… Würde ich gerne mal lesen. Wenn Du es mir zukommen lassen kannst, freue ich mich natürlich!

Christina Schwalbe

*1978 :: Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg, Fachbereich Erziehungswissenschaft - Forschungsschwerpunkte: Medien & Bildung, Mediengeschichte & Kulturgeschichte, Kommunikation

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