Zur Hyperkult 17: Ordnungen des Wissens
Posted on | Juli 14, 2008 | Kommentare deaktiviert für Zur Hyperkult 17: Ordnungen des Wissens
Vorletzte Woche, am 3. & 4. Juli 2008, fand an der Universität Lüneburg die Hyperkult 17 statt, eine jährlich stattfindende Tagung, die sich an der Schnittstelle zwischen technischen und kulturwissenschaftlichen Disziplinen befindet. Die Fragen, die dort gestellt werden (und natürlich auch Versuche angestellt werden, auf diese Fragen Antworten zu finden bzw. diese zu diskutieren) drehen sich rund um die Wechselwirkungen zwischen informationstechnologischen und kulturellen Entwicklungen – also ein Feld, in dem auch ich versuche, mich zu positionieren.
Thema der diesjährigen Hyperkult war „Ordnungen des Wissens“:
Die Ordnung des Wissens wird mit und in Computern verwahrt. Börsennotierte Unternehmen besitzen es, machen es profitabel zugänglich oder enthalten es vor. Dabei geht es nicht um Zensur, wenn festzuhalten ist, dass die Verfügung über das Wissen der Welt nunmehr außerhalb der Verantwortung wohlmeinender Sachwalter wie Bibliothekarinnen oder Archivaren oder professioneller Geheimhalter wie den Sicherheitsdiensten geraten ist. Was Google und andere nicht anzeigen, wird heute nicht wahrgenommen und existiert morgen ganz einfach nicht mehr. Und was sie findbar machen, ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Es ist die Ordnung selbst, die sich verändert, ohne dass dies von denen zu verhindern wäre, die noch zu Zeiten des Zettelkastens für das Wissen der Welt oder dessen Verschluss zuständig waren.
Fragen aus dem Call for Papers zur Tagung, die mich besonders interessieren sind:
- Welche Ordnungsstrukturen werden durch den Computer als Medium geschaffen, welche in Frage gestellt?
- Wer kann noch Einfluss nehmen?
- Was wird mit Computern geordnet und was entzieht sich diesen Bemühungen?
- Welchen Wert bekommt die Unordnung in der digitalen Welt?
Damit die vielen Gedanken, die sich in meinem Kopf und meinem kleinen schwarzen Notizbuch in diesen zwei Tagen angesammelt und entwickelt haben, nicht allzu schnell in Vergessenheit geraten, versuche ich hier, einige Zitate und Gedanken aus und zu den Vorträgen aufzuschreiben. Dazu muss ich die über Assoziationen und Verknüpfungen vernetzte, nicht-lineare Struktur meiner Gedanken in eine linear geordnete Form bringen – was sich – auch durch die Fülle der gehörten Vorträgen – gerade als nicht ganz so einfach herausstellt. Ich versuche mich also auf das für mich Essenzielle beschränken.
Als Eingangsvortrag sprach Deborah Weber-Wulff, Wise-Woman bei Wikipedia und Gründungsmitglied der Wikimedia Deutschland über die Entstehung der Wikipedia und die Ideen dahinter, aber auch über aktuelle Strukturen und Regeln oder – wie sie sagt – das Chaos in Wikipedia und die Ordnungen der Menschen, die an Wikipedia mitarbeiten.
Die Ursprungsidee der Wikipedia war, beeinflusst durch Konzepte wie Vannevar Bushs Memex (Memory Extension) und Ted Nelsons Xanadu, die Schaffung einer Open Content Enzyklopädie, in der Experten nach dem Peer-Review-Verfahren Artikel schreiben. Doch das gemeinsame Schreiben an einer Open Conten Enzyklopädie bringt für Wissenschaftler nicht das nötige Prestige, um dass sich in der Wissenschaftswelt doch sehr viel dreht, Wikipedia-Artikel zählen nicht als Publikationen – der Versuch schlug (zum Glück) fehl. Mit der Wendung zur offenen Enzylopädie, in der jeder schreiben darf, kam (und kommt immer noch) natürlich immer wieder die Frage nach der Qualität und der Reliabilität der Informationen auf: Wer ist Experte? Wer ist Laie? Wie definiert man beim kollaborativen Schreiben die Autorenschaft? Welche Informationen werden aufgenommen? Dazu gibt es ausgefeilte soziale Strukturen mit einem zeitlich und nach Aktivität gestaffelten Rechtemanagement und einige Regeln zur Publikation von Artikeln – in der Wikipedia „lemma“ genannt. Eine der Regeln, die gewährleisten sollen, dass nur gesichertes Wissen aufgenommen wird, besagt, dass alle Inhalte durch anderweitige Informationen nachweisbar sein müssen – wobei hier Printquellen gegenüber Internetquellen doch einen höheren Stellenwert erhalten. Zunächst war ich darüber etwas verwundert, jedoch ist ein Argument nicht von der Hand zu weisen: die Quellen müssen auch langfristig sicher verfügbar sein. Doch besteht insbesondere bei Zeitschriftenartikeln tatsächlich noch ein Unterschied, ob es nun eine gedruckte oder eine digitale Zeitschrift ist? Dies wirft wieder die Frage auf, wie sich die Publikationswege in der Wissenschaft verändern – wie sich traditionelle wissenschaftliche Ordnungsstrukturen verändern.
Nach dem Vortrag von Debora Weber-Wulff folgte ein Vortrag über die „Phänomenologie des Googeln“ von Rainer Groh. Die zwei Hauptthematiken, wenn man über Ordnungen des Wissens im Zeitalter der Allgegenwärtigkeit des WWW spricht, sind damit klar: Wikipedia und Google (von Rainer Groh als „Ersatzsysteme für eine verlorengegangene Ordnung bezeichnet“) machen den Anfang. Rainer Groh jedoch versuchte sich von einer etwas anderen Seite an Google ranzupirschen – es ging nicht um Google als Filter dessen, was wahrgenommen wird, sondern um die visuelle Syntax von Google, die Art und Weise, wie wir aus der Google-Suche eine Bedeutungsperspektive entwickeln – etwas, dass durch die zumindest auf den ersten Blick gleiche Bedeutsamkeit der Suchergebnisse bei Google fehlt. Groh reduzierte die Google-Suchergebnisse auf die visuelle Syntax und verglich die erste Wahrnehmung der Ergebnisse auf dem Bildschirm mit der Wahrnehmung eines Bildes, mit ähnlichen Mustern der Augenbewegungen und der Interaktion mit Bildern. Hier jedoch hatte ich das Gefühl eines sehr konstruierten und an den Haaren herbei gezogenen Zusammenhangs – nur weil etwas einen Rahmen hat, wie der Inhalt auf einem Computerbildschirm, ist es noch lange kein Bild. Und wir nehmen nun einmal auch die semantischen Zusammenhänge der Suchergebnisse war.
Einen Ausflug in andere Gefilde machte Iris Meyer mit einem Vortrag über die „Erkennung von ‚micro expressions'“, bei dem es nicht so sehr um die Ordnung von Wissen in digital-vernetzen Medien ging sondern eher um Analysen menschlichen Verhaltens, mit dem Ziel ein gängiges soziales Ordnungsgefüge aufrecht zu erhalten. Eine spannende Präsentation verschiedener Verfahren, die sehr stark an den Film „Minority Report“ erinnern, jedoch fehlte leider eine kritische Position bzw. eine konkrete Fragestellung und daher auch ein Fazit.
Sehr interessant – wobei ich jedoch den Bezug zum Tagungsthema nicht herstellen konnte – waren die Überlegungen von Herbert Hrachovec über Freiheit gegenüber den Grenzen durch Hardware. Natürlich ist unsere indivdiuelle Freiheit im Umgang mit Hardware durch die Eigenschaft der Hardware an bestimmten Punkten immer eingeschränkt – doch wie geht man damit um? Wie schafft man sich die Freiheit trotz Einschränkungen und welche Chancen hat man? Geknüpft sind diese Fragen immer an die Grundfrage: Wovon hängt Freiheit ab? Freiheit unterliegt immer bestimmten Regelungen, um ein soziales Miteinander zu gewährleisten – was von den einen als Einschränkungen wahrgenommen wird, die Freiheit der anderen jedoch erst zulässt.
Viel versprochen hatte ich mir im Vorfeld von dem Vortrag von Zorah Mari Bauer „Ordnung ist das halbe Leben. The Next Social Revolution“ – doch leider war es in erster Linie eine sehr linear scheinende Einteilung aktueller gesellschaftlichen Veränderungen in drei Phasen, gekennzeichnet mit den Attributen 1.0, 2.0 und 3.0 – vom hierarchischen Ordnungssystem in den Anfangszeiten des www über das „Zeitalter der Prosumenten“ (so Bauer) und hin zur Rückbindung virtueller Welten an reale Orte über mobile ortsbasierte Anwendungen, in denen der Nutzer im Mittelpunkt steht, der „Informationswelt 3.0“. Eine dialektische Betrachtung anstatt einer linearen Beschreibung wäre meines Erachtens spannender gewesen.
Abschließend noch ein kurzer Hinweis auf Hans Dieter Helliges historisch sehr spannende Darlegungen über verschiedene Konzepte einer digitalen Weltbibliothek – aufgehängt an der Frage, in wieweit technische Strukturen soziale Strukturen enthalten und miteinander in Beziehung stehen. Dabei beginnt er bei Paul Otlets Konzept einer Universellen Bibliothek, einem zentralen Archiv des gesamten Wissens der Welt, geordnet auf Zetteln. Man könnte fast sagen eine Art Papierversion der Wikipedia, jedoch mit einer eingeschränkten Autorenzahl. Über einige Visionen und Ideen nach dem Prinzip „One big library“ – zentralistisch organisierte Systeme mit Verteilsystemen – über erste dezentrale, hierarchisch organisierte Versorgungsmodelle wie der „Library of the future “ von Licklider et al. aus dem Jahr 1965 nähert er sich der vernetzten Architektur digitaler Wissenspeicher bzw -netze. Anschauen lohnt sich!
Und natürlich: der experimentelle Vortrag von Torsten Meyer: „Versuch über das Prinzip Database“. Auch hier lohnt es sich, sich die Zeit zu nehmen und ihn anzuschauen.
Alle anderen Vorträge gibt es als Video-Stream und als Download unter http://weblab.uni-lueneburg.de/kulturinformatik/hyperkult/hk_17/index_hk17.htm.
Tags: hyperkult > kulturwissenschaft > medientheorie > Tagung